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Letzte Änderung: 18.06.2003


Schwarze Löcher - Extreme Materie

Vorbemerkung

Vor diesem Kapitel graut es mir ein wenig. Das liegt weniger an der schon fast esoterischen "Vergötzung" derselben als Schlüssel zum Universum oder dem Blödsinn, der in vielen Science-Fiction-Geschichten mit ihnen getrieben wird; vielmehr scheue ich mich davor, mich über etwas auszulassen, das ich mir, wenn ich ehrlich bin, selbst nicht richtig vorstellen kann.

Deswegen werde ich hier nicht auf "nichteuklidische Geometrie" oder das beliebte Gummituchmodell eingehen - das überlasse ich gerne Leuten vom Schlag "Bublath". Vielmehr gehe ich auf die Aspekte schwarzer Löcher ein, die ich selbst verstehe, denn nur das kann ich versuchen zu erklären, ohne mich auf Glatteis zu begeben.

Der physikalische Zustand

Wie wir in den Kapiteln über das Ende der "normalen" Sterne, uber die Weiße Zwerge und Neutronensterne gesehen haben, neigt eine große Ansammlung von Materie dazu, sich unter dem Einfluß der eigenen Schwerkraft immer dichter aneinander zu pressen, wenn nicht eine entgegengesetzt wirkende Kraft dies verhindert. In funktionierenden Sternen sind dies der Strahlungsdruck und die elektromagnetische Abstoßung, in Weißen Zwergen der Elektronen-Entartungsdruck und in Neutronensternen die Abstoßung der Neutronen untereinander aufgrund einer potentialbildenden "Nebenwirkung" der starken Kernkraft, die man sich bildlich als Berührung der Neutronen untereinander vorstellen kann.

Bei den Weißen Zwergen und auch Neutronensternen haben wir den seltsamen Befund, daß ihre Größe (Durchmesser) mit steigender Masse abnimmt - was ein Indiz dafür ist, daß die Gravitation den abstoßenden Kräften gegenüber mit steigender Masse die Oberhand behält; gleichzeitig legt der Befund die Existenz einer (Masse-) Obergrenze für den jeweiligen Zustand nahe. Die Obergrenze für die Masse eines Weißen Zwerges haben wir als die Chandrasekharsche Grenzmasse kennengelernt; sie beträgt etwa 1,4 Sonnenmassen - alle Stern"leichen" mit höherer Masse werden zu Neutronensternen. Alle?

Die Theoretiker sind sich einig, daß es auch für die Masse eines Neutronensterns eine obere Grenze gibt; wo diese allerdings genau liegt, ist noch nicht klar - Schätzungen gehen von 2-3 Sonnenmassen aus. Was passiert mit schwereren Sternresten? Sie kollabieren zu einem punktförmigen, also unendlich kleinen Körper, den wir als Schwarzes Loch bezeichnen.

Dies ist genau der Punkt, an dem ich "aussteige" - alle Erklärungsansätze, die von einer unendlichen Raumkrümmung ausgehen, kann ich zwar emotional nachvollziehen, aber mein Hirn verschließt sich vor ihnen. Deshalb kann ich nur eins tun: Ich schlucke einfach die Idee der ausdehnungslosen Masse und versuche, die mir zugängliche Physik auf diesen Zustand anzuwenden. Und das bringt mich tröstlicherweise ein gutes Stück weiter!

Makroskopische Effekte

Das erste Halbwissen mit dem man immer wieder konfrontiert wird: "Ein schwarzes Loch verschlingt alles." Blödsinn. Außerhalb eines ziemlich kleinen Bereiches um die punktförmige Masse herum verhält sich ein schwarzes Loch wie eine ganz gewöhnliche Materieansammlung, also zum Beispiel ein Stern gleicher Masse, nach den Newtonschen Gravitationsgesetzen bzw. nach der Verfeinerung derselben, Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie. Machen wir ein Gedankenexperiment: Ersetzen wir unsere Sonne durch ein Schwarzes Loch gleicher Masse, also etwa 2*10^30 kg. Was würde das für das Sonnensystem bedeuten? Nun, es würde dunkel und kalt werden - sonst aber nichts: Der Merkur würde weiterhin seine Bahn mit einer Umlaufzeit von 88 Tagen umlaufen, und das Erdjahr würde weiterhin etwa 365 1/4 Tag dauern. Weder Merkur noch Erde noch sonst irgendein Planet würde auf Nimmerwiedersehen in dem fiktiven Schwarzen Loch verschwinden!

Diese Verhältnisse ändern sich erst bei starker Annäherung an das Schwarze Loch, doch dazu will ich etwas weiter ausholen.

Entweichgeschwindigkeit

Um einem Gravitationsfeld - z.B. dem der Erde - zu entkommen, muß ein Körper eine bestimmte Mindestgeschwindigkeit erreichen; diese ist von der Masse abhängig, die das Gravitationsfeld erzeugt sowie vom Abstand des Körpers zum Mittelpunkt dieser Masse. Mathematisch beschreibt das eine einfache Formel:

   v=sqrt(2*G*M/r)

M ist die Masse (z.B. der Erde), G die Gravitationskonstante und r der Abstand zum Massenmittelpunkt.

Ohne jetzt großartig auf die Wurzel oder die Konstante eingehen zu wollen, kann man eins deutlich sehen: Je geringer der Abstand r zum Massenzentrum ist, desto größer muß die Entweichgeschwindigkeit sein.

Daß der Abstand eine so große Rolle spielt, ist leicht einsehbar - und das wollen wir einmal weiter denken. An der Sonnenoberfläche beträgt die Entweichgeschwindigkeit satte 617 km/s. Die Oberfläche der Sonne ist aber 700.000 km von ihrem Massezentrum entfernt! Wenn wir uns nun wieder vorstellen, daß die Sonne durch ein schwarzes Loch gleicher Masse ersetzt wird, dann ist klar, daß die Fluchtgeschwindigkeit 700.000 km von diesem Körper entfernt weiterhin 617 km/s betragen würde - aber wenn wir uns der punktförmigen Sonne weiter nähern (das heißt, in ihre ursprüngliche Oberfläche eindringen), steigt dieser Wert natürlich immer weiter an. Wer darüber nachdenkt, kommt zu einer bedeutsamen Schlußfolgerung: Es muß eine Grenze geben, an der die Fluchtgeschwindigkeit die "magischen" 300.000 km/s überschreitet - die Lichtgeschwindigkeit. Somit wird die Fluchtgeschwindigkeit innerhalb eines (von der Masse des schwarzen Loches abhängigen) Radius für alle Materie und auch das Licht selbst unerreichbar hoch, und ein Entkommen von diesem Schwarzen Loch wird unmöglich.

Die Grenze, an der die Fluchtgeschwindigkeit genau gleich der Lichtgeschwindigkeit ist, wird Schwarzschild-Radius oder auch Ereignishorizont genannt. Man kann sie einfach durch Umstellen der obigen Formel berechnen:

   r=2*G*M / c2

Setzen wir hier das Gewicht unserer Sonne ein, so zeigt sich, daß das fiktive schwarze Loch einen Schwarzschild-Radius von gerade einmal 2,9 Kilometern hätte. Wohlgemerkt, es handelt sich hierbei nicht um die "Größe" des Schwarzen Loches, sondern lediglich um den Bereich, in dem Materie und Licht keine Chance auf Entkommen in das "äußere" Weltall haben. Alles, was sich im Inneren dieses Bereiches abspielt, ist für einen Beobachter im "Draußen" unsichtbar, einschließlich des punktförmigen, ausdehnungslosen Schwarzen Loches selbst.

Akkretionsscheibe

Das heißt nicht, daß das Schwarze Loch völlig unbeobbachtbar wäre - und auch nicht, daß außerhalb des Schwarzschildradius alles "eitel Sonnenschein" wäre. Die Anziehungskraft der enormen Masse - immerhin so schwer wie unsere Sonne - macht sich ja nach wie vor bemerkbar, und auch außerhalb des Ereignishorizontes kann es ganz schön ungemütlich werden.

Im Jahr 1993 kam der Komet Shoemaker-Levi dem Riesenplaneten Jupiter recht nah, allerdings weit davon entfernt, ihn zu streifen. Er flog jedoch durch einen Bereich, in dem Jupiters enormes Gravitationsfeld eine zerstörerische Gezeitenkraft auf den kleinen Körper auswirkte: Der Komet wurde in kleine Bruchstücke zerrissen und die Bahn des Kometen empfindlich gestört, so daß die Fragmente im Jahr 1994 direkt auf den Planeten stürzten.

Auch die Sonne hat aufgrund ihrer riesigen Masse ein ähnlich destruktives Gravitationsfeld um sich herum, das in schöner Regelmäßigkeit nahe vorbeiziehenden Asteroiden und Kometen zum Verhängnis wird; diese werden buchstäblich in Stücke gerissen, und ihre Trümmer werden im Lauf der Zeit (nach einigen Sonnenumläufen) in die Sonne selbst stürzen oder aber von der Schwerkraft der äußeren Planeten in beliebige neue Bahnen geworfen.

Denken wir uns die Sonne durch das zitierte gleichschwere schwarze Loch ersetzt, das ja nur einen (Schwarzschild-)Radius von 3 km hätte. In 100.000 km Periheldistanz versuche ein Asteroid oder Komet an ihr vorbeizukommen. Resultat: Aufgrund der Gezeitenkraft würde er in kleine Teile gerissen werden. Diese kleinen Teile stoßen und reiben aneinander, so daß ein guter Teil von ihnen Umlaufenergie verliert, somit auf eine engere Umlaufbahn um das schwarze Loch gerät. Gemäß Kepler ist die Umlaufgeschwindigkeit nun aber weitaus höher, so daß Kollisionen der Teile untereinander immer heftiger werden, je näher sie dem Massenzentrum sind; die Region rings um das schwarze Loch wird sehr, sehr heiß, so daß letzten Endes gewaltige Mengen Licht und kurzwellige Strahlung aus dieser Zone emittiert werden.

Diese Akkretionsscheiben sind für uns die beste Chance, schwarze Löcher tatsächlich zu beobachten; und in der Tat gibt es einige "Kandidaten" - also Objekte, deren Strahlungsspektren dem nahe kommen, was die Astronomen von einer ordentlichen Akkretionsscheibe so erwarten.

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